Niemand! Oder zumindest hilft es niemandem, wenn man sie hat.
Bevor jetzt gleich der Aufschrei kommt: In unser beider Berufsleben besteht das Management größtenteils aus Männern, daher haben wir diesen Artikel so überschrieben. Das heißt nicht, dass diese Charakterzüge nicht auch bei anderen Geschlechtern zu finden sind. Es gibt zuhauf auch Dampfplauderer:innen. Aber ihr wollt hier ja real-life Talk aus unserem Jetzt und nicht aus einer fiktiven Welt, in der das Management inklusiv und vielfältig ist (Loretta sagt: Bevor sich Evi jetzt in Rage schreibt, bleiben wir mal beim Thema).
Das Wunderbare an der Software-Branche ist, dass sie nie still steht. Damit bildet sie zu gleichen Teilen ein wunderbar abwechslungsreiches Arbeitsumfeld, aber auch die größte Herausforderung, der MaSa gegenüber steht - jeden Tag.
Technologie ist crazy shit und jede Technologie ist in dem Moment Legacy, wenn sie implementiert ist. Das Wachstum der Technologiebranche, allein in Deutschland, wird von Deloitte für den Zeitraum bis 2030 durchschnittlich mit 5,1 Prozent berechnet - und das ist nur die IT-Branche per se, wir reden hier noch nicht von den sich stets weiter digitalisierenden Branchen wie Automotive, Banking, Retail, usw. welche eigenen Trends und Regularien folgen (müssen).
Für MaSa heißt das unter anderem:
wir müssen uns ständig neue Pitches einfallen lassen, die jeweils zum Problem des Endkunden passen
die Software, die wir verkaufen, bekommt permanent neue Features, welche es dann zu positionieren gilt
Kampagnen wollen schnellstmöglich ausgerollt werden, um das Momentum nicht zu verlieren (wusste ja keiner, wie lange so ein Lockdown dauern kann...)
Kommunikationskanäle müssen an die Zielgruppe angepasst werden und nur, weil ein Channel vor 6 Monaten noch wunderbar funktioniert hat, heißt das nicht, dass das immer noch so ist (schönes Beispiel: InMail)
Außerdem haben ja vor allem amerikanische Software-Unternehmen ein Lieblings-Hobby: Umstrukturierung von Vertriebsorganisationen. Das heißt wiederum, dass sich Fokus-Accounts, Target-Accounts, Hot Accounts (diese Liste ist lang...) und auch Lieblingsindustrien gerne mal ändern können.
Aus der Verhaltensforschung haben wir gelernt, dass es ca. 90 Tage dauert, bis man eine Gewohnheit ablegt oder etabliert. Die Bücherregale sind voll mit "Die ersten 100 Tage"-Ratgebern, die einem das Gefühl vermitteln sollen, dass es diesen Zeitraum benötigt, um in einer neuen Rolle oder bei einem neuen Arbeitgeber Fuß zu fassen.
Ein neues Account-Setup ist natürlich nicht automatisch gleichzusetzen mit einem Jobwechsel, aber das ist hier auch gar nicht der Punkt. Es geht darum, dass in unserem Umfeld permanent Veränderungen eintreten und dass man nicht von jetzt auf gleich alles Wissen und allen Kontext erfassen kann.
Wer hier behauptet, wissenstechnisch sofort am Puls der Zeit und up-to-date zu sein, hat entweder seinen Hogwarts-Brief übersehen (Zeitumkehrer und so, HP Band 3) oder leidet unter massiver Selbstüberschätzung.
Womit wir leider schon beim Thema sind und bei den Fragen, die sich uns stellen: Warum ist es schlimm, etwas nicht (sofort) zu wissen? Warum wird es als Schwäche angesehen, wenn man von etwas (noch) keine Ahnung hat? Warum sehen es so viele als scharfe Kritik an sich, wenn jemand etwas besser kann, anstatt zu lernen und gemeinsam gute Arbeit noch besser zu machen?
Ist es nicht normal, dass man bei der Vielzahl an Themen nicht hinterher kommt?
Zurück in unsere Realität: Nicht nur einmal ist es passiert, dass neues Management die Bühne betritt und sich augenscheinlich diese Fragen noch nie gestellt hat. Oder (These!) diese Fragen sich nicht zu stellen traut, weil es ihre eigene Kompetenz in Frage stellen könnte. Dem Gegenüber die Kompetenz abzusprechen ist ein einfaches, aber wirksames, Mittel in der Rhetorik, um den Gesprächspartner oder die -partnerin zu verunsichern. Vielleicht haben die späteren Manager in der Vergangenheit das einmal zu viel abbekommen und trauen sich seitdem nicht mehr, Unwissenheit zuzugeben? Stattdessen wird es (lautstark) kompensiert und dabei leidlich wenig konkretisiert, was wir bei uns in Bayern liebevoll "Dampfplauderer" nennen.
Definition:
Dampfplauderer: (jemand) hört sich gerne reden,
(jemand) redet viel, wenn der Tag lang ist
Je länger wir darüber nachgedachten haben (ok...sind wir ehrlich, je länger wir uns darüber aufgeregt haben), desto mehr haben wir festgestellt, dass sich dieser Typus in unterschiedlichen Ausprägungen in der Business-Welt herumtreibt. Wir wollen hier jetzt niemandem Kompetenzen absprechen, die er/sie sicherlich im Job hat. Aber wenn die Dampfplauderei überwiegt, dann fällt es leider schwer, etwas anderes als "Fake it till you make it" zu unterstellen.
1) Der profilierende Dampfplauderer - Einstiegsdroge: Mein Haus, mein Boot, mein Auto. Jemand, der so viel hat, muss Ahnung haben (*Ironie off*). Nachdem diese Person gemerkt hat, dass man es mit "Fake it" gar nicht bis zu "make it" schaffen muss, hat sie es perfektioniert, über pfauenartiges Schaulaufen ein Kompetenzbild zu stricken, das auf den ersten Blick erst einmal beeindruckend ist. Hinter der bunt beleuchteten Fassade ist es oft ziemlich leer, es wird aber auch alles dafür getan, das der Blick hinter diese der letzte ist, den man tut.
2) Der "fremde Federn"-Dampfplauderer - eigentlich die schlimmste Ausprägung, weil die Karriere ganz gerne auf den Erfolgen anderer aufgebaut wird. Leider begegnet uns viel zu oft dieser Typ als Weiterentwicklung des ersten Typus. Meist sucht sich dieser Typus seine "Quellen" in Kolleg:innen mit geringerem Selbstbewusstsein, Juniors oder sehr hierarchie-affinen Menschen. Rhetorisch geschickt wird dabei die Arbeit des Gegenübers gelobt, um mehr darüber zu erfahren und dann anschließend in einen Monolog zu verfallen, der eigentlich nur dazu dient, das eben Erfahrene zu interiorisieren und im schlimmsten Falle der Quelle den Anschein zu geben, dass man das Wissen sowie schon inne hatte. So bewaffnet, kann man die Erfolge anderer wunderbar in seine eigene Darstellung einweben, ohne das Gegenüber erwähnen zu müssen. (Evi sagt: Wisst ihr, an was mich das erinnert? Dementoren! Also vielleicht haben ein paar ja wirklich ihren Hogwarts-Brief verlegt?)
3) Der "Dampf"-Dampfplauderer - eng verwandt mit der ersten Version, und oft zusätzlich so mit Reden beschäftigt, dass er nicht zum Arbeiten kommt. Ruft an, redet eine halbe Stunde und kommt dann mit "du, was ich eigentlich fragen wollte"...wenn überhaupt. Oft wird geredet, um des Redens willen, was höchstwahrscheinlich auch der Bestätigung der eigenen Daseinsberechtigung dient.
Ab einem gewissen Punkt kann man hier von einer Persiflage des eigentlichen Dampfplauderers sprechen, so viel heiße Luft wie hier produziert wird. Schade nur, dass diese Version nur echt schwer zu stoppen ist, hat sie sich einmal in Rage geredet. Und dennoch weiß man auch nach 30 Minuten nur selten, was einem das Gegenüber eigentlich sagen wollte. Wir vermuten, dass sich dieser Typus daraus entwickelt, wenn man sich mehrmals erfolgreich um Kopf und Kragen geredet hat und dann feststellt, dass man damit ganz gut durchkommt. Aber das ist nur eine These.
Was wir keiner Version des Dampfplauderers absprechen können, ist häufig ein außergewöhnliches Talent für Rhetorik und/oder einen wirklich langen Atem, wenn es um das Aneinanderreihen von Sätzen geht. Warum sie mit diesem Talent allerdings nicht in die Politik gegangen sind, ist uns schleierhaft. Die SZ hat trotzdem einen (Singular!) guten Grund gefunden, warum man so jemanden im Team brauchen kann und wie man mit solchen Leuten umgehen sollte.
Dampfplauderer in der freien Wildbahn: Kein scheues Reh
Was passiert jetzt, wenn ein solcher Dampfplauderer neu in ein (IT-)Unternehmen kommt, in dem er (oder sie) weder die Technologie kennt, noch die Prozesse, vielleicht auch nicht den Markt und am wenigsten die Menschen, die dort bereits arbeiten? Korrekt: Die eigene Unsicherheit sowie absolut berechtigte und eigentlich natürliche Unwissenheit wird mit inhaltslosen aber wortintensiven Monologen überspielt.
Und dann entwickelt sich eine gleichermaßen seltsame und sehr anstrengende Kausalkette: Lieber sprechen Dampfplauderer anderen die Kompetenz ab, bevor jene auf die Idee kommen, das bei sich selbst zu tun. #sonicht
Wäre es nicht zielführender, wenn man sich gemeinsam die jeweilige Ist-Situation ehrlich ins Gesicht sagt und schaut, ob man daraus fruchtbare Allianzen schmieden kann, die im besten Falle aus dem Ist-Zustand einen Ist-noch-besser-Zustand machen? Oder, um es mit der Sesamstraße zu sagen: Wer nicht fragt, bleibt dumm.
Wie gehen wir mit solchen Charakteren um?
Wenn "umgehen" nicht geht (weil man am gleichen Projekt arbeitet oder es der eigene Vorgesetzte ist), dann muss man mit ihnen "umgehen". Oft wird hier empfohlen, dass man konkrete Gegenfragen stellt wie "Welche drei Schritte sollen wir als nächstes angehen?" oder "Kannst du mir die nächste Frage bitte nur mit JA oder NEIN beantworten?".
Aber: Der Grat zwischen "Bloßstellung" und "konstruktivem Feedback" ist ein schmaler und oft ist er eine Bürotür. Wie gut ist der persönliche Draht und kann man es vielleicht direkt 1:1 ansprechen, dass man die Redeanteile in Gesprächen gerne gleichberechtigter hätte?
Loretta sagt: Umgehen oder Umgehen - es ist ein sehr schmaler Grat und es ist wichtig sich bewusst zu sein, dass es einen selbst konstant herausfordert. Mein Coach erklärt mir gerne, dass diese Charaktere meist den eigenen Werten widersprechen und es einem daher so schwer fällt, damit umzugehen. Mir hilft: beobachten und lernen - für sich selber einen Weg finden damit umzugehen. Außerdem: Dampfplauderer brauchen Nahrung damit sie plaudern können, daher einfach mal überlegen welche Nahrung man ihnen gibt und es für den eigen Vorteil nutzen.
Evi sagt: Unwissenheit und Unsicherheit sind keine Schwächen. Ich spreche das mittlerweile oft offen an und ernte damit primär positive Reaktionen. Dreimal dürft ihr raten, bei welchen Lebensgenossen diese Aussage aber auf weniger fruchtbaren Boden fällt... Dabei wusste doch schon Faust: Da steh' ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!
Comentarios